Warum du fürs erfolgreiche Sprachenlernen dringend beginnen musst, deinen Ohren mehr zu vertrauen als deinen Augen

Grammatik
Veröffentlicht am
December 8, 2025
December 8, 2025

Warum du fürs erfolgreiche Sprachenlernen dringend beginnen musst, deinen Ohren mehr zu vertrauen als deinen Augen

Wie du deine Aussprache verbessern kannst, indem du gezielt an deinem Hörverständnis arbeitest, habe ich dir bereits in einem meiner Blogbeiträge gezeigt.

Heute geht es noch etwas weiter in die Materie. Das Ding ist: Jeder spricht am Anfang die allermeisten Wörter in der Fremdsprache einfach sehr ‚deutsch‘ aus. Es macht dabei auch überhaupt keinen Unterschied, ob dein Lehrer Muttersprachler ist oder nicht (sicher nicht? Nein, zeige ich hier). Durch viele, viele Jahre Beobachtung in meinen Kursen glaube ich, den Grund dafür gefunden zu haben:

Das Auge gewinnt übers Ohr.

Wenn wir Buchstaben sehen, neigen wir dazu, sie deutsch zu lesen, komme, was wolle. Auch, wenn der Lehrer – völlig egal, welche Nationalität er hat – sagt, dass es anders muss. Auch, wenn die zum Lehrbuch gehörende CD es komplett anders vorliest. Lang und breit erklärte Ausspracheregeln, Lautschrift, alles egal: Ausnahmslos alle Schüler, die ich bislang unterrichtet habe (und das waren wirklich viele), vertrauen ihren Augen mehr als ihren Ohren.

Ein Beispiel aus dem Norwegischen: kanskje – vielleicht

Das Wort kommt im Unterricht recht früh in unseren Wortschatz und sieht zunächst urig aus, aber die – einfache und völlig regelmäßige – Aussprache ist schlicht /kansche/. Regel: „skj“ entspricht immer /sch/ für uns. Immer. Und doch höre ich mir monate-, ach, manchmal jahrelang eine buchstabengetreue (und damit auf Deutsch vollkommen umständliche) Aussprache an: /kanSKJe/. Sprich das mal. Unmöglich!

/kansche/ Sprich das mal. Besser, oder? In vielen Schülerköpfen scheint trotzdem so etwas zu spuken wie: „Ich sehe ein s-k-j, also spreche ich ein s-k-j. Punkt.“ Falsch.

Nächstes Beispiel: hjelp – Hilfe

Das „h“ ist stumm: /jelp/. Alle „h“ vor „j“ sind stumm. Wären sie das nicht, frage ich mich, wie sollte man sie denn bitteschön aussprechen? Die meisten Schüler wissen das erstaunlicherweise: Wie ein angestrengtes /ch/ – /CHjelp/. Klingt zwar gleich viel dringender, ist aber trotzdem verkehrt. Einzig und allen /jelp/ ist norwegisch.

Noch ein Beispiel: et telt – ein Zelt; teltet – das Zelt

„et telt“ spricht man im Großen und Ganzen nahezu so aus, wie es auf Deutsch auch geschrieben steht. „et“ heißt „ein“ und „telt“ heißt „Zelt“.

Hängt man das „et“ hinten an das Wort „telt“ dran („teltet“), wird daraus im Norwegischen der bestimmte Artikel: „Zelt-das“. Im Deutschen steht der weiterhin vorne vor: „das Zelt“. Besonders dabei ist, dass man dann (und nur dann) das „t“ nicht mehr ausspricht: /telte/ sagt man also ungefähr.

Die Regel ist einfach, gilt für ALLE Substantive, an die man das „et“ dranhängt, und wird ebenfalls recht früh in allen Kursen gelehrt:

et barn – ein Kind

barnet (/barne/) – das Kind, stummes t

et tog – ein Zug

toget (/toge/) – der Zug, stummes t

et tre – ein Baum

treet (/tre-e/) – der Baum, stummes t

Klingt einfach? Ist es nicht. Das Auge betrügt uns. Ein geschriebenes „t“ entspricht in unserem deutschen Gehirn einem gesprochenen /t/, und das dauert ganz schön lange, bis man es sich abgewöhnt hat, es mitzulesen. /telteT/ lesen also die meisten.

Ich kann die Regel zehnmal wiederholen. Ich kann das Wort zwanzigmal vorsprechen. Ich kann die Lern-CD des Lehrbuchs, auf der echte Norweger die Texte vorlesen, dreißigmal vorspielen. Es wird noch ein paar Semester bei /telteT/ und /CHjelp/ und /kanSKJe/ bleiben, versprochen.

Was das deutsche Ohr hört, wird ausgeblendet, sobald das Auge etwas Widersprüchliches liest. Da kann auch ein muttersprachlicher Lehrer, auf den ja so viele Schüler Wert legen, leider gar nichts dran ändern.

Das ist nicht böse gemeint von den Schülern und erst recht kein mangelndes Talent. Es ist einfach eine Gewöhnungssache, sich mehr an akustischen anstatt an optischen Eindrücken zu orientieren, und auch die gehört zum Sprachenlernen dazu. Es gibt moderne Lern- bzw. Unterrichtsmethoden, die genau darauf aufbauen und viel oder ausschließlich durch Hören lehren. Natürlich, würden wir nur mit gesprochenen Texten lernen, also ganz ohne geschriebene, würden die meisten alles richtig sprechen, weil das Ohr keinen Vergleich mit der Schrift hat, der es ablenkt. Dann könnten wir nur nicht schreiben; wäre auch blöd.

Wahre Begebenheit: Freunde von mir, die überhaupt kein Norwegisch können, haben aus Spaß mal ein norwegisches Lied transkribiert, also nicht den korrekten Text gegooglet, sondern wirklich genau aufgeschrieben, was sie glaubten zu hören, um es dann nachsingen zu können. Obwohl der Text aus höchst abenteuerlichen Wortkonstruktionen und natürlich einer vollkommen verkehrten Orthografie bestand, klang es fast perfekt, wenn man es genau so ausgesprochen hat, wie sie geschrieben haben.

Gut sprechen allein durch Hören klappte hier also super. Hätten sie anhand des Originaltextes versucht, mitzusingen, wäre die Aussprache hingegen vermutlich sehr daneben gewesen – weil sie sich am geschriebenen Wort anstatt am Gesang orientiert hätten, jede Wette.

Unsere Standard-Lehrbücher arbeiten nicht so sehr nach der Hör-Methode, die haben trotz CDs oder Apps mit Hörübungen weiterhin noch viel geschriebenen Text. Somit können die Schüler aber auch zeitnah per E-Mail ihren nächsten Wohnwagenstellplatz reservieren, weil der Schrift-Aspekt eben auch große Bedeutung hat. Die Unterrichtsmethode muss man in jedem Fall für sich selbst und anhand seiner eigenen Ziele abwägen und mit seinem Lehrer absprechen.

Kurzum: Da sowieso erst einmal fast jeder nur „deutsch-lautgetreu“ liest, was er sieht, anstatt zu imitieren, was er hört, ist es relativ egal, ob der Lehrer Muttersprachler deiner Lernsprache ist oder nicht. Wichtig für alle Lerner, die ihre Aussprache verbessern wollen, ist es also, wirklich, wirklich gut zuzuhören – /kansche/ sogar hin und wieder einfach mal mit geschlossenen Augen!

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