Warum du eine Sprache mit einer App niemals „fleißig“ genug lernen wirst

Warum du eine Sprache mit einer App niemals „fleißig“ genug lernen wirst
„Wir möchten nach Norwegen/Schweden/Dänemark/Finnland/in die Niederlande/… auswandern. [Hier einige Fragen und Wünsche und Diesdasjenes einfügen.] Sprache wird schon fleißig gelernt.*) Wir freuen uns über Tipps.“
- jeder Auswanderwillige in Facebook-Auswandergruppen, immer
*) „Sprache wird schon fleißig gelernt“ heißt in 19 von 20 Fällen = „Ich habe seit drei Wochen eine Vokabel-App installiert und schon paar Mal auch geöffnet, mein Mann guckt gelegentlich mit rein und wir können schon bis zehn zählen.“
SPOILER: So wird das nichts.
Du möchtest ein neues Leben anfangen. Du möchtest einen neuen Alltag haben, neue Routinen finden, du möchtest das neue Land ERLEBEN, sonst könntest du ja auch in Deutschland bleiben.
Dafür brauchst du Sprachkenntnisse. Je früher du die schon hast und je mehr du schon mitbringst bei der Auswanderung, desto einfacher ist es für dich von Anfang an – und nicht zuletzt für deine Mitmenschen.
Eine App ist besser als keine App. Logisch. Eine App als Auswandervorbereitung ist aber weitgehend sinnfrei. Damit kannst du im Urlaub ne Zimtschnecke bestellen, aber kein Bewerbungsgespräch führen, Haus kaufen, Kindergartenplätze organisieren, den Hund zum Tierarzt bringen UND DICH NICHT INTEGRIEREN IM NEUEN LAND.
Ja, viele „können“ Englisch, aber willst du verlangen, dass alle sich auf dich einstellen und ihre Sprache jedes Mal wechseln, wenn du anwesend bist? Nicht nur unverschämt, sondern vor allen Dingen auch unpraktisch. Reden die Kollegen unter sich, der Arzt mit dem Pfleger oder die Eltern beim Elternabend miteinander, nutzen sie sicherlich die Landessprache, und du bleibst außenvor. Ist doch doof.
Und vertrau mir: Dass das Sprachwissen „von selbst“ komme, sobald man erstmal im neuen Land lebt, ist ein Mythos, den ich an anderer Stelle aufkläre und richtigstelle – von selbst kommt Sprache bei Kleinkindern, aber bei 95 % der Erwachsenen definitiv nicht. Darum ist sprachliche Vorbereitung natürlich das Schlauste, was du machen kannst. Und mach es direkt richtig!
Wie kann ich denn dann die Sprache meines Ziellandes lernen?
Niemand muss perfekt sprechen, wenn er umzieht. Aber sorry, App-Kenntnisse sind insbesondere für die Jobvorbereitung einfach lächerlich, auch wenn die App vielleicht andere Versprechungen macht (denen du nicht glauben solltest). Um eine Sprache richtig zu lernen, brauchst du nämlich
1.) Sprach-PRAXIS, also echtes, aktives Anwenden der Sprache in Gesprächen, wie man es in jedem guten Sprachkurs zu Hauf tut, aber nicht in einer App. Wie erfolgreich malst du dir z. B. ein Vorstellungsgespräch aus, auf das du dich ohne Sprechen vorbereitet hast? Allerhöchstens mittel vermutlich.
2.) Sprach-HILFE, um dich zurecht zu finden. Von Menschen, die dafür ausgebildet wurden, nicht von grünen Eulen, die vom Koch in der Wiege erzählen. Menschen, die dir erklären, wie das Sprachsystem funktioniert und das mit dir trainieren, und zwar so, dass es sitzt. Menschen, die du fragen kannst, wenn du etwas nicht verstehst – und glaub mir, das wird häufig passieren. Ganz idealerweise kannst du diese Fragen sogar auf Deutsch stellen, mega praktisch.
Dann gelingt Lernen ganz stressfrei und einfach!
Warum lernen wir so gut von und mit Menschen?
Überleg mal: Wenn dir ein Hirntumor entfernt werden muss, würdest du es wahrscheinlich sehr schätzen, wenn der Chirurg sein Wissen nicht aus einer App hätte, sondern aus einer profunden Ausbildung. Das gilt ebenso für den Mechaniker, der dein Auto repariert – dem Gesellen mit der Ausbildung mehrerer Jahre vertraust du sicherlich mehr als dem Praktikanten mit der Erfahrung von zwei Apptutorials.
Die Vergleiche mögen an vielen Stellen hinken, aber was ich sagen will: Wir erwarten in den allermeisten Gebieten des täglichen Lebens „echte“ Ausbildungen, die von Lehrern, Dozenten, Prüfern und Supervisoren, also Menschen, über Jahre begleitet wurden. Warum um Himmels willen glauben beim Sprachenlernen dann so viele, dass menschlose Methoden funktionieren? Sprache ist für KOMMUNIKATION gemacht, also zwangsläufig auf andere Menschen ausgerichtet. Ohne das Lernen von und mit echten Menschen kann die nicht gelingen.
„Dann frage ich einfach meine Kollegen, Nachbarn oder andere Leute im neuen Land,“ denkst du jetzt vielleicht, und richtig, das sind Menschen. Aber lies oben nochmal: „… die dafür ausgebildet wurden“ – das sind die höchstwahrscheinlich nicht. Bestimmt sprichst du auch mit deinem neu zugezogenen Nachbarn Deutsch, wenn er das lernen möchte. Wenn er etwas falsch sagt, kannst du ihn korrigieren. Aber beibringen im Sinne von Antworten auf „Warum ist das so und nicht anders?“, „Wann brauche ich den Dativ?“, „Wie bildet man den Konjunktiv?“ und noch 53 weitere „Warum?“s parat haben kannst du ihm das nicht, wenn du nicht gerade Deutsch studiert hast, oder? Diese Dinge will er aber lernen, und dafür braucht er nicht dich als Nachbarn, sondern einen Deutschlehrer, der all diese Erklärungen inklusive Eselsbrücken und mehr geben kann UND zudem für die Ausübung seines Berufes Geld bekommt im Gegensatz zu dir, der das nicht nur schlecht, sondern auch gratis machen muss. Darum, finde ich, ist das eine eher weniger optimale Idee, sein neues Umfeld direkt als gratis Dienstleister ranzuziehen.
Wie bereite ich mich klug auf eine Auswanderung vor?
Das übliche „Sprache wird schon fleißig gelernt“ ist also wie gesagt besser als nichts, aber es bringt dich nicht sonderlich weit. Für etwas so Großes, Lebensveränderndes wie eine Auswanderung muss da mehr passieren. Wenn du in eine andere Welt eintauchen möchtest, von der du dir ewige Erfüllung erhoffst, dann muss es dir deine eigene Ausbildung auch wert sein, in guten Sprachunterricht zu investieren.
Wer es ernst meint mit dem neuen Leben im neuen Land, der geht auch die sprachliche Vorbereitung ernsthaft an – ernsthaft im Sinne von professionell, durchdacht und intensiv, nicht im Sinne von ernst und ohne Spaß natürlich. Denn Spaß muss es machen. Und den hat man nun mal viiiiiel mehr mit Menschen als mit dem Smartphone. Probieren? Willkommen!


